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DADA

Die Flucht aus der Zeit - Hugo Ball (the original text)

… “Was wir Dada nennen ist ein Narrenspiel aus dem Nichts, in das alles höheren Fragen verwickelt sind; eine Gladiatorengeste; ein Spiel mit den schäbigen Überbleibseln; eine Hinrichtung der posierten Moralität und Fülle.

Der Dadaist liebt das Außergewöhnliche, ja das Absurde. Er weiss, dass sich im Widerspruch das behauptet und dass seine Zeit wie keine vorher auf die Vernichtung des Generösen abzielt. Jede Art Maske ist ihm darum willkommen. Jedes Versteckspiel, dem eine düpierende Kraft innewohnt. Das Direkte und Primitive erscheint ihm inmitten enormer Unnatur als das Unglaubliche selbst.

Da der Bankrott der Ideen das Menschenbild bis in die innersten Schichten zerblättert hat, treten in pathologischer Kunst, Politik oder Bekenntnis diesem Dammbruch gewachsen scheinen, bleibt nur die Blague und die blutige Pose.

Der Dadaist vertraut mehr der Aufrichtigkeit von Ereignissen als dem Witz von Personen. Personen sind bei ihm billig zu haben, die eigene Person nicht ausgenommen. Er glaubt nicht mehr an die Erfassung der Dinge aus einem Punkte, und ist doch noch immer dergestalt von der Verbundenheit aller Wesen, von der Gesamthaftigkeit überzeugt, dass er bis zur Selbstauflösung an den Dissonanzen leidet.

Der Dadaist kämpft gegen die Agonie und der Todestaumel der Zeit. Abgeneigt jeder klugen Zurückhaltung, pflegt er die Neugier dessen, der eine belustigte Freude noch an der fraglichsten Form der Fronde empfindet. Er weiss, dass die Welt der Systeme in Trümmer ging, und dass auf Barzahlung drängende Zeit einen Ramschausverkauf der entgötterten Philosophie eröffnet hat. Wo für die Budenbesitzer der Schreck und das schlechte Gewissen beginnt, da beginnt für den Dadaisten ein helles Gelächter und eine milde Begütigung.”

... “Die Bildungs- und Kunstideale als Varietteprogramm -: das ist unsere Art von “Candide” gegen die Zeit. Man tut so, als ob nichts geschehen wäre. Der Schindarger wächst und hält am Prestige der europäischen Herrlichkeit fest. Man sucht das Unmögliche möglich zu machen und den Verrat am Menschen, den Raubbau an Leib und Seele der Völker, dies zivilisiert Gemetzel in einen Triumph der europäischen Intelligenz umzulügen. Man führt eine Farce auf, dekretierend, nun habe Karfreitag Stimmung zu herrschen, die weder durch ein verstohlenes Klimpern auf halber Laute, noch durch ein Augenzwinkern dürfte gestört und gelästert werden. Darauf ist zu sagen: man kann nicht verlangen, dass wir die üble Pastete von Menschenfleisch, die man uns präsentiert, mit Behagen verschlucken. Man kann nicht verlangen, dass unsere zitternde Nüstern der Leichendunst mit Bewunderung einsaugen. Man kann nicht erwarten, dass wir die täglich fataler sich offenbaren Stumpfheit und Herzenkälte mit Heroismus verwechseln. Man wird einmal einräumen müssen, dass wir sehr höflich, ja rührend reagieren. Die grellsten Pamphleten reichten nicht hin, die allgemein herrschende Hypokrisie gebührend mit Lauge und Hohn zu begiessen.”

… ”Die Kunst kann von dem bestehenden Weltbild keinen Respekt haben, ohne auf sich selbst zu verzichten. Sie erweitert die Welt, indem sie die bis dahin bekannten und wirksame Aspekte negiert und neue an ihre Stelle setzt. Das ist die Macht der modernen Ästhetik; man kann nicht Künstler sein und an die Geschichte glauben.”

... “Unser Cabaret ist eine Geste. Jedes Wort, das hier gesprochen und gesungen wird, besagt wenigstens das eine, dass es dieser erniedrigenden Zeit nicht gelungen ist, und Respekt abzunötigen. Was wäre auch respektabel und imponierend an ihr? Ihre Kanonen? Unsere große Trommel übertönt sie. Ihr Idealismus? Er ist längst zum Gelächter geworden, in seiner populären und seiner akademischen Ausgabe. Die grandiosen Schacht Feste und kannibalischen Heldentaten? Unsere freiwillige Torheit, unsere Begeisterung für die Illusion wird sie zuschanden machen.”

... “Alle Stilarten der letzten zwanzig Jahren gaben sich gestern ein Stelldichein. Huelsenbeck, Tzara und Janco traten mit einem “ Poeme simultan” auf. Das ist ein kontrapunktisches Rezitativ, in dem drei oder mehrere Stimmen gleichzeitig sprechen, singen, pfeifen oder dergleichen, so zwar, dass ihre Bewegungen den elegischen, lustigen oder bizarren Gehalt der Sache ausmachen. Der Eigensinn eines Organons kommt in solchem Simultan Gedichte drastisch zum Ausdruck und ebenso seine Bedingtheit durch die Begleitung. Die Geräusche (ein minutenlang gezogenes rrrr, oder Polterstösse oder Sirenengeheul und dergleichen), haben eine der Mensch Stimme an Energie überlegene Existenz.

Das “Poeme simultan” handelt vom Wert der Stimme. Das menschliche Organ vertritt die Seele, die Individualität in ihrer Irrfahrt zwischen dämonischen Begleiten. Die Geräusche stellen den Hintergrund dar; das Unartikulierte, Fatale, Bestimmende. Das Gedicht will die Verschlungenheit des Menschen in der mechanistische Prozess verdeutlichen. In typischer Verkürzung zeigt es den Widerstreit der VOX humana mit der einer sie bedrohende, verstrickenden und zerstörenden Welt, deren Takt und Geräuschablauf unentrinnbar sind.”

... “Wir haben die Plastizität des Wortes jetzt bis einem Punkte getrieben, an dem sie schwerlich mehr überboten werden kann. Wir erreichten dies Resultat auf Kosten des logisch gebaute, verstandesmäßigen Satzes und demnach auch unter Verzicht auf eine dokumentarische werk (als welches nur mittels zeitraubender Gruppierung von Sätzen in einer logisch geordneten Syntax möglich ist). Was uns bei besonderen Umstände dieser Zeit, die eine Begabung von Rang weder ruhen noch reifen lässt und sie somit auf die Prüfung der Mittel verweist... Sodann aber war es der emphatische Schwung unseres Zirkels, von dessen Teilnehmern einer den andern stets durch Verschärfung der Forderungen und der Akzente zu überbieten suchten. Man mag immer lächeln: diese Sprache wird uns unseren Eifer einmal danken, auch wenn ihm keine direkt sichtbare Folge beschieden sein sollte. Wir haben das Wort mit Kräften und Energien geladen, die uns den evangelischen Begriff des “Wortes” (logos) als eines magischen Komplexbildes wieder entdecken ließen.

Mit der Preisgabe des Satzes dem Worte zuliebe begann resolut der Kreis um Marinetti mit den “Parole in liberta”. Sie nahmen das Wort aus dem gedankenlos und automatisch ihm zu erteilen Satzrahmen (dem Weltbilde) heraus, nährten die ausgezehrte Großstadtvokabel mit Licht und Luft, gaben ihre Wärme, Bewegung und ihre ursprünglich unbekümmerte Freiheit wieder. Wir anderen gingen noch einen Schritt weiter. Wir suchten des isolierten Vokabeln die Fülle einer Beschwörung, die Glut eines Gestirns zu verleihen. Und seltsam: die magische erfüllte Vokabel beschwor und gebar einen neuen Satz, der von keinerlei konventionellen Sinn bedingt und gebunden war. An hundert Gedanken zugleich anstreifend, ohne sie namhaft zu machen, ließ dieser Satz das urtümlich spielende, aber versunkene, irrationale Wesen des Hörers erklingen; weckte und bestärkte er die untersten Schichten der Erinnerung. Unsere Versuche streiften Gebiete der Philosophie und des Lebens, von denen sich unsere ach so vernünftige, altkluge Umgebung kaum etwas träumen ließ.”

… “Ich habe eine neue Gattung von Versen erfunden, “Verse ohne Worte” oder Lautgedichte, in denen das Balancement der Vokale nur nach dem Werte der Ansatz Reihen erwogen und ausgeteilt wird. Die ersten dieser Verse habe ich heute Abend vorgelesen. Ich hatte mir dazu ein eigenes Kostüm konstruiert. Meine Beine standen in einem Säulenrund aus blauglänzenden Karton, der mir schlank bis zur Hüfte reichte, so dass ich bis dahin wie ein Obelisk aussah. Darüber trug ich einen riesigen, aus Pappe geschnittener Mantelkragen, der innen mit Scharlach und außen mit Gold beklebt, am Halse derart zusammen gehalten war, dass ich ihn durch Heben und Senken der Ellbogen flügelartig bewegen konnte. Dazu einen zylinderartigen, hohen, weiß und blau gestreiftes Schamanenhut.

Ich hatte an allen drei Seiten des Podiums gegen das Publikum Notenständer errichtet und stellte darauf mein mit Rotstift gemaltes Manuskript, bald am einen, bald am anderen Notenständer zelebrierend. Da Tzara von meinen Vorbereitung wusste, gab es eine richtige kleine Premiere. Alle waren neugierig. Also ließ ich mich, da ich als Säule nicht gehen konnte, in der Verfinsterung auf das Podest tragen und begann langsam und feierlich:

gadi beri binba

glandridi lauli lonni cadori gadjama bim beri glasala

glandridi glassala tuffm i zimbrabim blassa galassasa tuffum i zimbrabim….

Die Akzente wurden schwerer, der Ausdruck steigerte sich in der Verschärfung der Konsonanten. Ich merkte sehr bald, dass meine Ausdrucksmittel, wenn ich erst bleiben wollte (und das wollte ich um jeden Preis), dem Pomp meiner Inszenierung nicht würden gewachsen sein. Im Publikum sah ich Brupbacher, Jermoli, Laban, Frau

Wigman. Ich fürchtete eine Blamage und nahm mich zusammen. Ich hatte jetzt rechts am Notenständer “Labadas Gesang an die Wolken” und links die “Elefantenkarawane” absolviert und wandte mich wieder zur mittleren Staffelei, fleißig mit den Flügeln schlagend. Die schweren Vokalreigen und der schleppende Rhythmus der Elefanten hatten mir eben noch eine letzte Steigerung erlaubt. Wie sollte ich‘s aber zu Ende führen? Da bemerkte ich, dass meine Stimme, der klein andere Weg mehr blieb, die uralte Kadenz der priesterlichen Lamentation annahm, jeden Stil des Messgesangs, wie er durch die katholische Kirche des Morgen- und Abendlandes wehklagt.

Ich weiss nicht was mir diese Musik eingab. Aber ich begann meine Vokal reihen rezitativartig im Kirchenstil zu singen und versuchte es, nicht nur ernst zu bleiben, sondern mir auch des Ernst zu erzwingen. einen Moment lang schien mir, als tauchte in meiner kubistische Maske ein bleiches, verstörtes Jungen Gesicht auf, jenes halb erschrockene, halb neugierige Gesicht eines zehnjährigen Knaben, der in den Totenmessen und Hochämtern seiner Heimatspfarrei zitternd und gierig am Munde der Priester hängt. Da erlosch, wie ich es bestellt hatte, das elektrische Licht, und ich wurde vom Podium herab schweißbedeckt als ein magischer Bischof in die Versenkung getragen.”

1927

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